Zwischen zwei Welten – von Delikatessen und (Über-)Lebensmitteln

StudienstufePlus - Modul 01

Zwischen zwei Welten – von Delikatessen und (Über-)Lebensmitteln

Wer wünscht sich das nicht: Hochwertige Zutaten werden von Meisterköchen unter großer Sorgfalt erstklassig zubereitet, zu kulinarischen Köstlichkeiten zusammengefügt und von professionellem Personal in ansprechendem Ambiente serviert. Purer Luxus! Für die 20 Teilnehmer des Projekts „StudienstufePlus” vom Evangelischen Gymnasium Bad Marienberg wurde dieser Traum am Mittwoch, den 28.11. beim einem Businessdinner im Hotel Glockenspitze wahr. Unter der kompetenten Betreuung von Knigge-Expertin Anja Nassen wurde aber nicht nur gehoben diniert, sondern auch die Feinheiten und Tücken einer solchen Einladung vermittelt.

Doch die Realität in der Küche sieht für eine große (und stetig wachsenden) Zahl von Menschen anders aus: Anstelle der Sorge über das richtige Thema für den Smalltalk mit den Chefs steht hier nur allzu oft eine sehr existenzielle Frage: „reicht mein Geld überhaupt, um mich und meine Familie zu ernähren?“ Hier springen die deutschen Tafeln in die Bresche: für lediglich einen symbolischen Obolus bekommen Bedürftige die nötigsten Lebensmittel, die sie sich im Supermarkt wohl nicht mehr leisten könnten. In diese Welt durften die jungen Menschen am Freitag , den 30.11. eintauchen und wichtige Erfahrungen am anderen Ende des sozialen Spektrums machen.

Genau diesen Kontrast jenseits des Tellerrands der Schule sollte das erste Modul der StudienstufePlus den Schülerinnen und Schülern vermitteln: die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland ist groß, um sie zu überwinden müssen Brücken gebaut werden und dieses Brücken beginnen mit dem Bewusstsein für das Problem.

Das Erweitern des Horizonts der Schülerinnen und Schülern ist grundsätzlich der Zweck des neuen Profilprojekts des EvGBM. In Kooperation mit Unternehmen und Firmen wurde von den Projektverantwortlichen (Alexander Breitkreuz, Stefan Buchner, Steffen Hammon, Alexander Lühr und Dirk Weigand) ein Kompetenzkatalog erarbeitet, welcher Fähigkeiten beinhaltet, die beim Start ins Berufsleben wichtig sind, aber leider in der Schule häufig zu kurz kommen. Diese Kompetenzen werden gezielt geschult. Die gesammelten Erfahrungen decken ein weites Feld ab und schließen zum Beispiel auch das Designen und Vermarkten eines eigenen Produkts und die Besuche kultureller Veranstaltungen ein. Am Ende der StudienstufePlus werden aus den Schülerinnen und Schülern, die jetzt noch die Jahrgangsstufe 11 besuchen, echte Kosmopoliten geworden sein, die sich gut vorbereitet jeder Herausforderung des Lebens stellen können.

Den ersten Schritt auf diesem langen Weg nahmen die Teilnehmer am 28.11. beim förmlichen Businessdinner. Der Termin beinhaltete jedoch weit mehr als nur das Genießen des guten Essens. Zunächst wurden die Schülerinnen und Schüler mit dem Veranstaltungsort, dem Sporthotel Glockenspitze in Altenkirchen, vertraut gemacht. Das Hotel besticht mit mehr als nur der Küche: das alltägliche Ambiente eines Hotels wird hier an jeder Stelle durch den Bezug zum Sport aufgebrochen. Ob durch die alten DDR-Sportmatten, die als Sitzpolster in der Lounge dienen, oder die enge Beziehung zur „Sportler ruft Sportler-Stiftung“ (SRS), gewöhnlich sucht man in der Glockenspitze vergeblich. Das besondere Highlight sind die 32 Themenzimmer des Hotels, wo Gäste beispielsweise in einem zum Boxring umgestalteten Bett nächtigen können. Weiter ging es mit der Theorie: Frau Anja Nassen, mit langjähriger Erfahrung im Personalmanagement und in der Personalberatung, brachte den Schülerinnen und Schülern bei auf welche Vielzahl von Feinheiten man beim Businessdinner zu achten hat und welche Fettnäpfchen es zu umschiffen gilt. Langweilig wurde auch dieser Teil des Abends nicht, mit vielen Geschichten aus dem Leben, für des Leben – nicht zuletzt von abenteuerlichen Erlebnissen beim Fischessen – wurde das Seminar aufgelockert und es gab viel zu lachen. Dann endlich durfte das vier-Gänge-Menü verköstigt werden. Und dank der peniblen Vorbereitung brachten auch allen den letzten und wichtigsten Abschnitt des Abends ohne – zumindest ohne allzu große – Fauxpas über die Bühne.

Für den zweiten Abschnitt des ersten Moduls wurde am 30.11. die feine Abendgarderobe gegen alltagstaugliche Kleidung getauscht; denn jetzt musste was geschafft werden. Beim Besuch bei der Bad Marienberger Ausgabestelle der Tafel Westerwald stand klar das Anpacken und Helfen im Vordergrund. Zusammen mit den vorrangig ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen wurden Kisten aus den Transportern abgeladen, Nahrungsmittel sortiert und für die Abgabe an Bedürftige vorbereitet. Zwischen arbeitsreicheren Abschnitten fand Frau Johanna Kunz, hauptamtliche Mitarbeiterin des Diakonischen Werks Westerwald udn zuständig für die Begleitung der Tafel-Ausgabestellen in Hachenburg, Rennerod und Bad Marienberg, die Gelegenheit den Schülerinnen und Schülern das Konzept, die Aufgaben und die Organisation der Tafel näher zu bringen. So war sicherlich vor dem Besuch nicht jedem klar, welcher gewaltige organisatorische Aufwand hinter dem Abholen, Verteilen und Ausgeben von Lebensmittel steckt. Und alles für das höhere Ziel bedürftigen Menschen zu helfen und wenigstens eine Alltagssorge zu nehmen. „Bei uns steht immer der Mensch im Mittelpunkt“ stellt Frau Kunz fest, muss aber die Aufgabe der Tafel klar einschränken: „Vollversorgung ist nicht unser Ziel, […] wir können der Politik nicht die Arbeit abnehmen!“ Damit hat sie natürlich Recht; die Ursachen und Auswirkungen von Armut sind weit tiefer verwurzelt, als dass die Probleme durch die aufopferungsvolle Arbeit von 450 zumeist ehrenamtlichen Mitarbeitern aus dem Westerwaldkreis gelöst werden könnten.

Neben der Unterstützung bedürftiger Menschen geht es der Tafel aber auch um die Bewahrung guter Lebensmittel vor der Vernichtung. Die Nahrungsmittel bekommen sozusagen ihre „zweite Chance“, was dazu führt, dass der größte Teil der Spenden auch verteilt werden kann. So kann durch clevere Organisation und große Leidenschaft viel Lebensmittelverschwendung vermieden werden.

Nach getaner Arbeit begaben sich die Schülerinnen und Schüler auf den Fußweg zurück zum Evangelischen Gymnasium; das Erlebte hing ihnen aber noch nach und sie überlegten auch über die abschließende Frage: „Würden sie als bedürftige Person die Hilfe der Tafel in Anspruch nehmen?“ Während viele feststellten, dass die Einrichtung „schon Sinn macht“ und sich auch für sich selbst vorstellen konnten die Hilfe zu nutzen, kamen andere zu einem klaren „Nein!“ als Antwort. Der psychologische Effekt sich selbst die Bedürftigkeit einzugestehen wiegt vielen schwer auf der Seele und verursacht Hemmungen. Diesen Effekt beobachtet man auch bei der Tafel: Während die Kunden insgesamt die bunte Mischung des Gesellschaft abbilden, ist es doch nur ein Bruchteil der Bedürftigen in der Region. Für die Teilnehmer der StudienstufePlus war der Besuch in jedem Fall wertvoll. Eine Schülerin brachte ihre Erfahrung auf den Punkt und fasste zusammen, dass „man jeden Menschen mit Respekt behandeln muss.“

Für die Teilnehmer der StudienstufePlus ist mit dem Abschluss des ersten Moduls der Einstieg in das neue Projekt erfolgreich absolviert und mit Spannung darf das zweite Modul erwartet werden.

Die Schulleitung des EvGBM und die Teilnehmer des Projekts bedanken sich an dieser Stelle ganz herzlich bei Herrn Josua Asbach und dem gesamten Team des Sporthotels Glockenspitze, bei Frau Anja Nassen für das professionelle Coaching und bei Frau Johanna Kunz und allen Mitarbeiter_innen der Tafel Westerwald.